Cartagena
Dort ist es noch mehr heiß. Die anderen mieten sich im Partyhostel mit Pool ein, wir ums Eck in einem Familiengeführten, aber stinklangweiligen Haus. Der Nachmittag in der Innenstadt, die sich für die Touristen, die von Monat zu Monat mehr werden, herausgeputzt und mit Polizei an jeder Ecke ausgestattet hat, lässt uns staunen. So schön ist es hier, so anders als in den anderen Städten, die wir bisher gesehen haben, und neben der Hitze auch immer windig, dort am Hafen beginnt das offene Meer. Abends feiert das Partyhostel, wir gehen da auch mit rein, und finden auf der anderen Straßenseite ein kleines Hotel mit Mangobaum im Innenhof und einem Zimmerchen mit weißem Bett und großem Bad. Dahin werden wir umziehen, übermorgen.
Playa Blanca
Denn wir wollen es nochmal probieren, das mit der Nacht am Strand. In alter Besetzung steigen wir wieder in ein Boot, wieder ein schnelles fliegendes, und kommen dort an, wovon alle Backpacker in schillernden Farben erzählen. Die Playa Blanca liegt eine Fischerboot-Stunde südlich von Cartagena, hier ist der Sand weich und weiß, nicht so körnig und klebrig wie im Tayrona-Park, und das Meer schwappt gemütlich türkis. Am Strand unter den reetgedeckten Unterständen kann man übernachten, die Zeit ist leer, mit Nichtstun, Wasser trinken, Baden, wieder trinken, lesen, schlafen. Abends wird für uns gekocht, Fisch mit Pommes, oder Reis mit Huhn, mit Süßwasser vom Festland. Hier lebt man minimal, aber hier stört es uns nicht, der Strand, dieses Schwappen, dieses wohlige Flirren in der Luft machen den Ort zum Paradies. Abends, als es dunkel ist und der Generator die funzelige Glühbirne zum leuchten bringt, wir beschäftigen uns mit Kartenspielen und Bier, kommen drei deutsche Mädchen Anfang zwanzig unter unser Dach, sie knüpfen Freundschaftsbänder und erzählen uns, wie sie durch den Verkauf ihrer Bändchen in Städten und an Stränden sich seit Monaten die Reise finanzieren. Die essen kein Filet Mignon, schlafen nicht in Privatzimmern mit eigenem Bad, und werden von uns dekadenten Touristen schwer bewundert. So viel Freude über ein spendiertes Bier, und wir kaufen ihnen Armbänder ab und gehen bei Vollmond baden. Das Meer fühlt sich immer noch türkis an, auch in der Dunkelheit.
Am nächsten Morgen ist es, kaum ist die Sonne am Himmel, heiß. Unser Wasser ist fast leer, das Geld auch. Wir alle haben zu wenig dabei, und verbringen den Vormittag damit, wie wir unsere Schulden für Huhn mit Reis und Fisch bezahlen könnten. Nach bezahlen der Rückfahrt am Nachmittag bleibt uns definitiv zu wenig Geld, und in allerletzer Minute bietet uns Lisa aus Hamburg einen Teil ihrer Geldreserven an. Das Boot zurück ist noch schneller als alle anderen jemals zuvor, wir springen über das Wasser, setzen dann im neuen Hotel das ganze Bad unter Wasser und finden mal wieder ein feines Restaurant in dekadenter Touristen-Preisklasse. Paul fliegt am nächsten Tag nach Kanada zurück und deswegen und nicht nur deswegen feiern wir abends ein kleines Abschiedsfest auf der Dachterrasse des Partyhostels, bis dort die Musik ausgemacht wird und schnurstracks Menschen mit Besen Berge aus Plastikbechern und leeren Zigarettenschachteln anhäufen. Wir beobachten das Treiben auf der Straße, eine dieser Straßen, auf denen immer Menschen sind, aus den Türen und Fenster der Lokale quellen, deren Türen und Fenster immer weit offen stehen, beobachten die vielen Polizisten, die jede kleinste Unruhe sofort unterbinden, glauben einen Drogendeal zu sehen, sehen aber dann den potentiellen Käufer nicht mehr. Ein Kolumbianer, der lange in Kanada gelebt hat, erzählt uns davon, wie sehr in Cartagenas Innenstadt, dem größten Touristenort Kolumbiens, wo die Mieten in der Innenstadt fast so hoch sind wie die in München in der Nähe des Mittleren Rings, ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vermittelt wird. Durch extrem hohe Präsenz von Polizei und Militär. Wie aber in den Randgebieten, wo die Menschen dicht aufeinander leben, der Schutz fehlt und es dort ständig zu kleinen Bürgerkriegen kommt. Dort, wo wir Reisende nicht hinsehen. Er erzählt auch, wie bestechlich diese scheinbar unberührbaren Obrigkeiten sind, wie sehr eins sie mit Guerilla und Farque sind, und wie das Land vom Drogenhandel vergiftet und regiert ist.
Wir schlafen weit in den vorletzten Tag unserer Reise hinein. Nachmittags schlendern wir durch diese beschützten Straßen, entlang eines Pfades, den die Touristenstadtkarte vorgibt, sehen wieder diese wunderschönen Häuser, bunt, bepflanzt, idyllisch. Postkartenreif. Und Fassade für ein ganzes Land, hinter der die scheußlichsten stinkenden Kammern miese Dinge ausspucken. Abends gibt es Pizza, in der ciudad movil, einem Haus, in dem sich Leute treffen, die aus aller Welt nach Cartagena gezogen sind. Dort gibt es eine Bibliothek, Sofas, eine Art Turnhalle, in der man Tanz und Akrobatik lernen kann und wo am Wochenende Disco ist, mit bunten Lichtern aus den Ecken. Hintendran einen Garten, in dem Pizza auf großen Holzbrettern serviert wird. So gute Pizza, die so träge macht. Und Mosquitos, die das dort lange sitzen verleiden. Wir streunen noch ein bisschen durch die Gegend, überschwemmen unser Bad und sind sowieso schon wieder wahnsinnig müde.
Der letzte Tag, der letzte Ausflug. Fünfzig Kilometer östlich von Cartagena lassen wir uns zu einem Schlammkrater kutschieren. Diese lustigen Vulkane sind dort irgendwann aus dem Boden gewachsen, und sind angefüllt mit zähem braunem Schlamm, in den man sich hineinlegen kann, der einen trägt wie das Salz im toten Meer, wie eine unsichtbare Ebene, auf der man sitzt oder liegt. Man reibt sich ein, kann sich massieren lassen mit dem Schlamm, gibt acht, nichts davon in die Augen zu bekommen, denn die Hände sind wie der ganze restliche Körper mit dieser Masse überzogen, und ist einmal Schlamm in den Augen, hat man keine Chance, sich selbst davon zu befreien. Nach dem Schlammbad ziehen Kolonnen brauner Gestalten zum Süßwasserteich ein paar Schritte weiter, sich die braune Brühe abzuwaschen. Soweit das geht, in einem eigentlich klaren Wasser, das aber ebenfalls schlammgetränkt ist. Aus der Dusche tröpfelt es immerhin, für die groben übrigen braunen Flecken, und die Reisegruppe „Schlammvulkan“ reist ab zum Mittagessen, im Preis inbegriffen. Wir kommen an einem Strand an, der uns schwarz-weiß und düster ansieht. Es zieht ein Gewitter auf und wird richtig kalt, es ist windig und grau. Und so schön. Die Augen glauben sich zu täuschen, aber nein, hier kann es grell in allen unbekannten Nuancen leuchten und dann wieder so unfarbig sein wie man selten gesehen hat. Am Nachmittag macht sich Aufbruchstimmung breit. Rucksack packen, einchecken, nostalgisch werden. Und eine nette Begegnung mit einem Restaurantbesitzer, dessen Eltern in Tschechien leben. Österreich-Erinnerungen.
Wir haben Bauchweh und gehen früh ins Bett.
Die Heimreise ist lang und langweilig. Mit dem Bus von Cartagena nach Barranquilla, zwei Stunden, mit dem Flugzeug früher als erwartet und sehr schnell nach Bogota, eine Stunde. Sieben Stunden Flughafen, Nudeln und Crepe mit Nutella, und ein verschlafener Heimflug. In Frankfurt zeigt die Armbanduhr neun Uhr morgens, es ist nachmittags um vier. Abschied und jeder geht seiner Wege. Erinnerungen bleiben, viele Bilder und dieser Text.
Das ist das Ende der Reise. Wir sind jetzt seit vier Wochen wieder in Deutschland, der Alltag hat seine schleimigen Finger wieder ausgestreckt und ab und zu schauen wir eines dieser Sehnsuchts-Bilder an. Aus Salento, wo wir mit den Pferden durch den Rio Quindio geritten sind, oder der Strand im Tayrona Nationalpark, und fühlen noch ein bisschen diesen heißen Wind auf der Haut.
Hier ist das gesamte Reisetagebuch in einem Rutsch hinterlegt, und dazu eine Liste der Orte und Lokale, an denen wir gern geschlafen und gegessen haben.
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